Vortrag von Alona Nitzan-Shiftan [Technion – Israel Institute of Technology Haifa], #3 der Ringvorlesung Organizing Architectures: Coloniality
Der Vorschlag, Kolonialität als modernistische Organisationsform der Beziehungen zwischen dem Territorium und seinen Bewohner*innen zu untersuchen, erlaubt es uns, den Akt der Besiedlung von der Macht der Kolonialherrschaft zu trennen. Deshalb stellt der Begriff der Kolonialität ein wirkungsvolles theoretisches Instrument dar, um das Wissen und die Expertise zu untersuchen, auf die sich Zionist*innen stützten, um zivile und militärische Siedlungen als Mittel des Widerstands gegen die Kolonialherrschaft des britischen Mandats (1922–1948) zu errichten und diese zu untergraben.
In meinem Vortrag untersuche ich dieses Spannungsfeld anhand der architektonischen Praxis von Yohanan (Eugene) Ratner – einer äußerst einflussreicher und weitgehend vergessenen Figur, deren Fachwissen und Lehre sowohl die Architektur als auch die Kriegsführung der jüdischen Bevölkerung im Mandatsgebiet Palästina modernisierten. Nach der Architekturausbildung in Deutschland und dem Kriegsdienst in der kaiserlich-russischen Armee während des Ersten Weltkriegs, nahm Ratner die bezahlte Rolle des Dekans der Architekurschule am Techion an. Gleichzeitig organisierte er ehrenamtlich den militärischen Widerstand der jüdischen Bevölkerung. Mein Argument wird sein, dass Ratners Fähigkeit, sich zwischen Architektur und Kriegsführung hin- und herzubewegen, darauf zurückzuführen ist, dass die Grundlage beider Dimensionen seines Schaffens in der Erkenntnistheorie der deutschen und russischen Moderne begründet waren. Während Ratner in der Architektur dem Übergang vom Historismus zum Modernismus im institutionellen Bauen der Architektur mit großem „A“ zugeschrieben wird, liegt sein weitaus größerer Einfluss vielleicht in den utilitaristischen Strukturen, den territorialen Strategien und der organisatorischen Infrastruktur, die er im Zuge seines ehrenamtlichen Engagements entwickelte und die sich zu einem zionistischen Modus Operandi verfestigten. Dieses eher unsichtbare architektonisch-militärische Œuvre zeigt, wie die von Ratner visionierten neuen „Formen der Beherrschung“ eine Kolonialität der Macht förderten, die das Ende des europäischen Kolonialismus nicht überdauerte, sondern ihm vielmehr vorausging.
Der Vortrag findet auf Englisch statt.
4. Februar 2026
19 – 20.30 Uhr
im Deutschen Architekturmuseum (DAM)
Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt