Welche Beziehung besteht zwischen dem genius loci (dem authentischen Geist des Ortes), dem Aufstieg der Abstraktion in der Wissensproduktion und der neoliberalen Wirtschaft? Wie die jüngsten Kritiken an der von Jane Jacobs inspirierten urbanistischen Theorie gezeigt haben, birgt die Ablehnung groß angelegter Stadterneuerungsprojekte die Gefahr der Gentrifizierung. Trotz des Eisernen Vorhangs entstanden in der Sowjetunion ähnliche Ansätze, die den staatssozialistischen Urbanismus kritisierten. Sie trugen eine implizite politische Kritik am staatssozialistischen Städtebau und damit auch am sowjetischen politischen Regime in sich und machten sich nach den 1990er Jahren die neoliberale Ideologie des postsowjetischen Übergangs zu eigen. In meiner Dissertation werde ich den prominentesten dieser Ansätze untersuchen, die „Metageografie“ – eine originelle Theorie des Raums, die der Geograf Dmitri Zamyatin (geb. 1962) zwischen den 1980er und 2010er Jahren entwickelt hat. Im Mittelpunkt seiner Theorie stehen geografische Bilder, die als Systeme miteinander verbundener Zeichen, Symbole und Stereotypen verstanden werden, die ein Gebiet, eine Landschaft oder ein Land charakterisieren. Im Rahmen dieser Theorie verwandelt sich die Geographie in eine Imagination oder Metageographie – „die Bilder des Raumes und der Raum der Bilder“. Wie meine Dissertation zeigen wird, setzte die Entwicklung von Zamyatins Theorie nicht nur die in den 1960er und 1970er Jahren eingeleitete Humanisierung und Entmaterialisierung der sowjetischen Geografie fort, sondern spielte auch eine wichtige Rolle bei der Rezeption westlicher humanistischer, postmoderner und neuer kultureller Geografien (wie die Arbeiten von Yi-Fu Tuan, Ed Soja oder Denis Cosgrove) in der späten UdSSR. Diese Entwicklung fiel jedoch mit dem neoliberalen Übergang in Russland zusammen und trug schließlich zur Herausbildung der heutigen neoimperialistischen Ideologie Russlands bei. Sie prägte insbesondere die Pragmatik der regionalen Entwicklung durch Instrumente wie das territoriale Branding durch die Verwendung geografischer Bilder und die Modellierung räumlicher Identitäten. Durch die Analyse des komplexen Wechselspiels zwischen Humanismus und Neoliberalismus, staatlicher Macht und zivilem Aktivismus wird meine Dissertation die Grenzen der Kulturgeographie erweitern, um ihr Potenzial und ihre Grenzen im postsozialistischen Kontext zu untersuchen.
![In Search of the Lost Image 1 “Graph of the Yuryevets Geographical Image [образ] (Ivanovo Region)”](https://organizingarchitectures.org/wp-content/uploads/Smirnov_Nikolay_erganzendes-Bild_cDmitry-Zamyatin-Nadezhda-Zamyatina-Nikolay-Smirnov2.jpg)